Vom Vorwärts-abwärts zur Versammlung
Das Thema Vorwärts-abwärts wird aktuell sehr kontrovers in der Reiterwelt gehandelt. Von „nein, das geht gar nicht, damit machst du dir dein Pferd kaputt!“ zu „Unbedingt Vorwärts-abwärts, alles andere ist schädlich.“ hört man so einiges. Was oft ausser Acht gelassen wird, ist das wie bei vielem die Dosis das Gift macht.
Und dann ist da das Problem der Interpretation eines korrekten Vorwärts-abwärts. In vielen Ställen zeigt sich, dass das Verständnis für ein korrektes Vorwärts-abwärts gänzlich fehlt. Da sieht man Pferd mit der Nase im Sand im flotten Trab ihre Runden drehen und der Reiter findet, er würde nun in korrekter Dehnungshaltung ein tolles Vorwärts-abwärts reiten. Aber nur weil der Klopf unten ist und man hinten so richtig Gas gibt, hat das nichts mit Vorwärts-abwärts zu tun.
Zum Glück hat Bent Branderup am letzten Seminar in Wängi TG genau dieses Thema aufgegriffen.
„Ein System ist nicht für das System da.“
Damit hat Bent den Seminartag eröffnet. Ein komplett ausgebildetes Pferd versteht alle Hilfen und ist physisch und psychisch in der Lage diese umzusetzen. Da jedes Pferd aber individuell ist in seiner Biomechanik, kann ein System nicht einfach 1:1 auf jedes Pferd übertragen werden. Darum gibt es auch nicht die eine „richtige“ Ausbildung. Es muss immer die Biomechanik des jeweiligen Pferdes beachtet werden und entsprechend dieser ausgebildet werden. Zur Überprüfung kann man sich anschauen, wie sich das Pferd nach seiner Ausbildung bewegt. Bewegt es sich besser, was die Ausbildung gut, sonst folglich schlecht. Darum kann ein System nie für das System selber da sein, sondern muss immer dem jeweiligen Pferd helfen.
Die Sache mit der Biomechanik
Zu diesem Thema werden ganze Bibliotheken gefüllt. Wir beschränken uns auf grundsätzliches, wie wohin soll das Hinterbein fussen? Was passiert dabei mit dem Becken? So dass wir verstehen, was im Pferd überhaupt passiert und somit auch, was Vorwärts-abwärts eigentlich bedeutet.
Der Schwerpunkt des Pferdes liegt unter dem Gewicht des Reiters. Damit das Pferd uns gesund tragen kann, sollte es mit seinen Hinterbeinen genau dorthin treten. Entsprechend sollen die Hinterbeine nach vorne kommen. Damit das geschehen kann, muss aber das Becken des Pferdes eine Bewegung von vorne nach unten machen, dabei rotiert der Brustkorb in der Folge aussen hoch.
Man kann das gerne bei sich selber ausprobieren, wenn man mit locker hängenden Armen geht. Automatisch schwingt der diagonale Arm mit und wenn man in sich reinspürt, stellt man fest, dass der eigene Brustkorb ebenfalls nach aussen hoch rotiert. Und dann macht man dasselbe noch mit verschränken Armen und stellt fest, dass man Pass geht! Spannend nicht?
Wenn die Hinterbeine also Richtung Schwerpunkt fussen, entsteht beim Pferd eine Nickbewegung. Das liegt daran, weil sich die Unterlinie Abkürzt und die Oberlinie dehnt. Je besser das Pferd nun unter seinen Schwerpunkt treten kann, desto besser kann es den Kopf absenken, also die Oberlinie dehnen ohne auf die Vorhand zu fallen. Ausserdem wird es auch immer bequemer, je besser es die Hinterbeine unter seinen Schwerpunkt nimmt.
Gleichzeitig sollen die Vorderbeine Richtung Nase treten. Das Pferdeauge sieht, wo seine Vorderhufe hin fussen, indem es den Kopf leicht vorwärts-abwärts dehnt. Idealerweise treten dann die Hinterhufe in den Abdruck der Vorderhufe, da das Pferd nicht sehen kann, wo die Hinterhufe sonst hintreten würden. Ansonsten würde es unter Umständen einen Fehltritt machen.
Und da die Vorderbeine parallel zur Wirbelsäule schwingen, muss das Pferd auf dem Zirkel immer gebogen werden. Diese Biegung entsteht aber nicht am Pferdekopf, sondern am biegenden Schenkel! Der Kopf hat, schön gesagt, keine Beine, sondern soll immer mittig vor der Brust bleiben. Damit eine Biegung auf dem Zirkel entsteht, biegt man das Pferd um den inneren Schenkel, so können die Vorderbeine weiter Richtung Nase treten, halten aber die Zirkellinie und lassen den Hinterbeinen Platz nach vorne unter den Schwerpunkt zu fussen.
Wenn das Vorderbein im Vorwärts-abwärts rückständig wird. Sich das Pferd also fast in die Vorderbeine läuft, dann ging das Vorwärts der Vorderbeine verloren und man spricht von einem Rückwärts-abwärts. Das Pferd ist auf die Vorderhand gekommen und kann seine Vorderbeine nicht mehr nach vorne schwingen.
Man beginnt also zu verstehen, dass Vorwärts-abwärts nichts mit einem tief eingestellten Kopf und einer schnellen Hinterhand zu tun hat. Sondern mit einem unter den Schwerpunkt fussenden Hinterbein und in der Folge eines nach vorne dehnenden Kopfes. Das Becken des Pferdes rotiert dabei nach vorne. Bei der Versammlung rotiert das Becken nach hinten, das Pferd beugt seine Hanken uns „setzt“ sich.
Das Spiel des Vorwärts-abwärts und der Versammlung
Die Grundlage der Versammlung ist immer das Vorwärts. Wenn dieses verloren geht, verliert das Pferd auch seinen Takt und damit seinen Schwung. Darum bedeutet versammeln nicht langsamer werden. Bei korrekter Versammlungsarbeit wird das Pferd durch die Arbeit der Hinterhand leicht in der Hand.
Versammlung ist aber nicht etwas, das wie oft gepredigt, erst am Ende der Ausbildung des Pferdes kommt. Mit der Erarbeitung der wegbiegenden Schenkelhilfe, um den biegenden Innenschenkel entsteht Travers. Das Becken des Pferdes rotiert nach hinten und beginnt sich zu versammeln. Dies geschieht bereits bei minimer Abstellung. Mit steigernder Versammlung wird auch die Abstellung grösser. Die Hinterbeine arbeiten aber nach wie vor Richtung Schwerpunkt, was durch die nach hinten Rotation des Beckens weiterhin möglich ist. Gleichzeitig hebt sich der Widerrist an und die Vorderhand wird leichter.
Aus der versammelnden Arbeit mit dem Travers wird das Pferd über das Schulterherein entlassen, was bei freier Schulter eine leichte Dehnung der Oberlinie erlaubt. Es entsteht ein Spiel der Seitengänge zwischen Vorwärts-abwärts und Versammlung.