Seminar Hofreitschule Bückeburg

Du entscheidest, wie du hilfst. Ein Kursbericht vom Seminar mit der Fürstlichen Hofreitschule

Du entscheidest wie du hilfst. Teil 1

Letztes Wochenende waren Christin und Wolfgang Krischke von der Fürstlichen Hofreitschule Bückeburg wieder zu Besuch in Koblenz. Dieses Mal ging es, um das grundlegende Thema der Hilfengebung unter dem Motto „Du entscheidest, wie du hilfst“.

Christin hat uns in ihrem Vortrag in die Welt der Gedächtnisse (richtig, es gibt mehrere) und der Motivation bzw. Hemmung mitgenommen. Das Gedächtnis unserer Pferde funktioniert ähnlich dem unseren. Auch sie verfügen sowohl über ein sensorischen Gedächtnis (speichert eintreffende Reize für Bruchteile von Sekunden), über ein Kurz- und ein Langzeitgedächtnis sowie ein episodisches Gedächtnis, welches die eigenen Erlebnisse speichert und ein Belohnungs- und Suchtgedächtnis wie auch ein Bewegungsgedächtnis. Wir Menschen haben des Weiteren noch ein semantisches Gedächtnis, welches Faktenwissen speichert.

In der Pferdeausbildung möchten wir das Bewegungsgedächtnis ansprechen. Denn dort werden Bewegungspläne verfasst und gespeichert und der Befehl an die Muskulatur gegeben. Um bleibende Erinnerungen zu erschaffen, braucht es in erster Linie Wiederholungen und Emotion. Die Wiederholungen sollte aber mit verschiedenen Sinneseindrücken gekoppelt werden, um eine bessere Speicherung der Erinnerung zu gewährleisten. Ihr habt bestimmt schon von Dualaktivierung gehört. Diese macht sich das zum Beispiel zu nutzen.
Mit Hilfe von Emotionen kann man die Motivation steigern oder hemmen. Motivierend sind beispielsweise angenehme Berührungen, Futter und Wasser, Sozialkontakt, Sicherheit und Vertrauen wie auch Erfolgserlebnisse. Hemmend hingegen sind schmerzhafte Berührungen, Hunger und Durst, Einsamkeit, Unterdrückung, Bedrohung und Angst wie auch Versagen und Machtlosigkeit. Wenn man also nicht geschätztes Verhalten eines Pferdes ändern will, gilt sich zu entscheiden, ob man die Reaktion hemmen will oder eine alternative Reaktion fördern. Entsprechend setzt man eine unangenehme oder eine angenehme Konsequenz. Weiter verändert sich die Reizreaktion des Pferdes. Aus dem reflexartigem Stimulus und Response z.B. Angriff = Flucht, wird ein Angriff = Kampf, Flucht oder Erstarren. Das Pferd prüft die Reaktion durch eine zusätzliche Sinneswahrnehmung. Durch Kategorienbildung kann das Pferd Begleitumstände zuordnen und so reagieren. Und schlussendlich abstrahiert es vollständig, in dem es auf Grund vergangener Erlebnisse reagiert. Christin hat das wunderbar an folgendem Beispiel erklärt:

Pferd sieht Hund und flüchtet = Reflexreaktion
Pferd sieht Hund. Ist es ein grosser Hund? Ja. Pferd flüchtet = Prüfung weiterer Sinneswahrnehmung.
Pferd sieht Hund und erkennt, dass es sich um den Nachbarshund handelt, der ihm nie etwas getan hat und flüchtet nicht = vollständige mentale Abstraktion.

Wie macht man sich das Wissen nun bei der Pferdeausbildung zunutze?

Zuerst blickt man auf das natürliche Sozialverhalten des Pferdes und imitiert dessen Leittier. Die Leitung übernimmt immer das erfahrenste und besonnenste Pferd. Darum gebührt ihm Vertrauen und Respekt. Das heisst aber nicht, dass man als Leittier Auseinandersetzungen immer „gewinnen“ muss, denn die Rangfolge ist etwas Variables und Situatives. Je nach Konkurrenzsituation verhält sich das Pferd anders, wodurch Konfrontationen auch vermieden werden können. Konkret heisst das im Umgang mit dem Pferd, dass man sich zwar Grenzen absteckt. Zum Beispiel indem man auf seinen privaten Raum besteht, aber gleichzeitig auch den des Pferdes akzeptiert. Die ans Pferd gestellten Aufgaben sollen klein und machbar sein und man sollte alle Eventualitäten im Hinterkopf haben, damit man vorbereitet reagieren kann, wenn sie sich nicht vermeiden lassen. Nur wer gewappnet ist, kann besonnen reagieren. Jähzorn oder Angst machen keinen guten Leiter aus. Und wenn es klappt: Ausgiebig und persönlich loben! Wenn man hingegen strafen muss, ein heikles Thema ich weiss, dann bitte emotionslos, schnell und konsequent, damit Stress vermieden wird. Weiter sind kurze (!) Reprisen wichtig. Und wenn du nach 5 Minuten die Reithalle oder den Reitplatz wieder verlässt, spielt das keine Rolle, wenn das Pferd dafür ein Verhalten mit einem positiven Erlebnis abspeichern kann, bekommst du schnellere Lernerfolge, als wenn du eine Stunde lang übst.

Nochmals kurz und knapp: Ein Pferd lernt durch viele Wiederholungen mit ganz vielen Emotionen. Ob diese motivieren oder hemmen, entscheidest du.

Die 5 Intensitäten

In der Kommunikation mit dem Pferd gibt es fünf Intensitäten. Diese bauen aufeinander auf und steigern sich so sukzessive.

  1. Wünschen
  2. Bitten
  3. Fragen
  4. Fordern
  5. Durchsetzen

Man beginnt immer (!)  mit der ersten der fünf Intensitäten: Dem Wünschen. Mit Hilfe des inneren Bildes wünscht man sich, dass sich das Pferd bspw. in Bewegung setzt. Klappt das noch nicht steigert man, in dem man es bittet und dann fragt, sollte die Reaktion ausbleiben. Wenn auch die Frage nicht wie gewünscht beantwortet wird, fordert man und wenn das nicht ausreicht, setzt man sich durch.
Aber Achtung, beim nächsten Mal beginnt man wieder beim Wunsch. In den meisten Fällen reagiert das Pferd lange, bevor man bei der fünften Stufe ankommt und wenn man sich einmal durchsetzen muss, ist es wahrscheinlich, dass es beim nächsten Mal bereits nicht mehr der Fall sein wird.

Übrigens, der Wunsch darf auch gerne laut und wortwörtlich ausgesprochen werden. Denn durch das Formulieren dessen, was man reiten möchte, spannt man automatisch die dazu benötigten Muskeln an.

Wie wirken eigentlich Gebisse?

Ein grosses Thema ist schliesslich das Gebiss und die Schulung dessen. Hier kürze ich etwas ab, bzw. lasse Christin gleich selber zu Wort kommen. Zusammen mit Jenny von Blindly Follow Horses wurde nämlich ein sehr informatives Video zum Thema Wirkungsweise der unterschiedlichen Gebisse gemacht.

Die Gebissschulung

Das Pferd weiss nicht automatisch, was es mit dem Gebiss im Maul auf sich hat und was die Hilfen bedeuten. Daher wird es ihm mit den folgenden drei Schitten erklärt:

  1. Maulmobilisation
    Diese Übung wird nur im Stand und vom Boden aus gemacht. Dabei muss der Nasenriemen, wenn vorhanden, immer offen sein. Denn durch das Anheben des Gebisses, soll das Pferd dazu angeregt werden zu kauen und zu schlucken. Durch den Nasenriemen kann es, auch wenn er lose verschnallt ist, darin gehemmt werden.
  2. Abbiegeübung
    Die Abbiegeübung wird ausnahmslos im Stand gemacht. Zu Beginn gerne vom Boden, danach aus dem Sattel. Durch einseitiges Annehmen des Zügel, soll sich das Pferd den Kopf in die gewünschte Richtung biegen. In der Bewegung gehört das Pferdemaul aber immer mittig vor die Schultern!
    Wenn man beim Reiten auf Widerstände bei Stellung und Biegung trifft: Anhalten und Abbiegen.
  3. Nachgebeübung
    Hierzu wird ein Zügel aufgenommen und wenn das Pferd sich nachgibieg zeigt, sogleich den zweiten Zügel dazugenommen. Sobald das Pferd nachgibt, blitzschnell nach vorne nachgeben. Das Pferd macht beim Nachgeben eine kleine Nickbewegung. Wichtig ist, dass man sobald man diese kommen fühlt, sofort nachgibt. Gibt man nicht nach, lehnt sich das Pferd dagegen oder rollt sich ein. Beides Reaktionen, welche wir vermeiden wollen.

Wenn man mit dem Bosal reitet, fällt die Maulmobilisation aus offensichtlichen Gründen weg, die Abbiege- und Nachgebeübung hat aber den selben Stellenwert. Näheres dazu könnt ihr im letzten Kursbericht zum Thema "Wie erkläre ich dem Pferd das Bosal" nachlesen.

Diese Übungen werden übrigens nicht nur beim Jungpferd angewendet, sondern immer wieder, wenn beim Pferd Widerstände oder Unklarheiten auftauchen. Ausserdem ist es das Ziel das Pferd zügelunabhängig und am losen Zügel zu arbeiten. Ob das auf blanker Kandare, gebisslos oder am Halsring ist, sei dahin gestellt. Der Weg dahin ist derselbe.

Wolfgang hat während dem anschliessenden Unterricht der 6 Reiterinnen etwas sehr passendes gesagt, das ich mir wohl ausdrucken und an den Sattelschrank hängen werde:

Losgelassenheit kann man nicht festhalten. Wolfgang Krischke

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