Reitkunst

Was bedeutet eigentlich Reitkunst?

Beim Begriff Reitkunst denkt man unweigerlich an alte Kupferstiche, welche Pferd und Reiter in hohen Lektionen darstellen. Reitkunst ist aber weder ein Relikt aus vergangener Zeit noch geht es dabei nur um die Hohe Schule.

Der Ursprung befindet sich in unserer Reitgeschichte. Denn die Reitkunst lässt sich bis zum Reitmeister Xenophon (um 400 v. Chr.) zurückverfolgen. Für ihn diente die Reitkunst der Ausbildung von Kriegspferden und zu Paradezwecken. Über die Jahrhunderte veränderte sich die Reitkunst, jedoch blieb der Zweck der Reiterei mitunter ähnlich: Militär und Machtdemonstration.
In Reitakademien lernten die Reiter während mehreren Jahren das Reiten: Von der Grundschule am Boden bis zu den Hohen Lektionen auf und über der Erde. Immer mit dem Ziel das wertvolle Pferd möglichst viele Jahre gesund und einsatzbereit zu erhalten.

Heute hört man von verschiedenen Arten der Reitkunst:

  • Der barocken Reitkunst
  • Der klassischen Reitkunst
  • Der Doma Clásica
  • Der akademischen Reitkunst

Alle berufen sie sich auf die Reitweise vergangener Reitmeister.
Die barocke Reitkunst etwa erhebt den Anspruch einer möglichst genauen Rekonstruktion der barockzeitlichen Lehren vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zu sein. Dazu gehören unter anderem Federigo Griso, Antoine de Pluvinel und De la Guériniere, wie auch Manoel Carlos de Andrade und Georg Engelhard von Löhneysen.  Die klassische Reitkunst hingegen bezieht sich nicht auf die Epoche der Klassik, sondern auf den Status Klassiker. Also allgemeingültige und modeunabhängige Ausbildner aus der Zeit vom 19. bis 21. Jahrhundert. Die Doma Clásica, ebenfalls ein geläufiger Begriff, ist die Reitkunst der iberischen Halbinsel, welche Elemente der barocken Reitkunst mit folkloristischen Elementen mischt, z.B. dem spanischen Schritt. Und die akademische Reitkunst unter dessen Begründer Bent Branderup studiert die Lehren der alten Reitmeister und kombiniert es mit dem modernen Wissen der Physiologie, Pädagogik, Biomechanik und Veterinärmedizin.

Woran aber erkennt man Reitkunst?

Ganz einfach: Schaut es einfach aus, ist es Kunst, schaut es schwierig aus, ist es Sport.

Um die Fürstliche Hofreitschule zu zitieren:

Reitkunst ist die reiterliche Präsentation eines Pferdes in dessen individueller Vollkommenheit geistiger und körperlicher Anmut.

Fürstliche Hofreitschule Bückeburg

Reitkunst zu erreichen ist also ein Prozess, wobei die geistige und körperliche Anmut in seiner Vollkommenheit des Pferdes angestrebt wird. Aber ist das Pferd nicht schon das anmutigste Wesen dieser Welt? Wozu Vollkommenheit anstreben?
Und genau das ist der Punkt, wie ich finde. Denn ein freies (und notabene gesundes) Pferd bewegt sich in vollendeter Anmut. Zieht man dem Pferd aber ein Halfter an, legt ihm ein Sattel auf oder setzt sich gar drauf. Dann bewegt sich das Wesen unter Umständen schon weniger anmutig. An diesem Punkt kommen wir zur Pflicht des Reiters, nämlich die Erhaltung und Förderung der geistigen und körperlichen Gesundheit des Pferdes.

Wie sagte Pluvinel so passend:

Die Anmut eines jungen Pferdes ist wie der Duft einer Blüte, der, einmal verflogen, nie wiederkehrt.

Antoine de Pluvinel

Dass diese Aussage bei vielen Pferden mitten ins Schwarze trifft, sieht man leider ganz oft.
Daher kann man sagen, dass die Basis der Reitkunst die Freiwilligkeit darstellt. Denn ein Pferd, das freiwillig und dadurch motiviert mitarbeitet, hat Freude an der Arbeit und wer Freude hat, dessen Geist ist im Lot. Da hätten wir dann die geistige Anmut. Diese ist auch die Voraussetzung für körperliche Anmut, denn nur dann kann ein Pferd lernen, seine körperliche Anmut auch unter oder neben dem Reiter zu zeigen, was schliesslich zur vollendeten Anmut führt.

Was zeichnet also Reitkünstler aus?

Sie sind in erster Linie ein Freund zu ihrem Pferd. Dieser Freund soll lange gesund leben, wodurch das Training individuell biomechanisch angemessen aufgebaut wird. Mit dem Ziel, das Pferd auf optimalste Weise in Szene zu setzen, wobei der Reiter mit seinen unsichtbaren Hilfen in den Hintergrund tritt. Denn die Reitkunst ist immer für das Pferd da und nicht umgekehrt.
Um das zu erreichen reflektiert der Reitkünstler seine Haltung, seine Hilfe, ja sogar sein Wesen gegenüber dem Pferd. Denn nur so können zwei Seelen eins werden.

Reitkunst ist, wenn zwei Geister wollen, was zwei Körper können.

Bent Branderup

Reflektion setzt Wissen voraus oder zumindest Neugier, um sich das fehlende Wissen anzueigenen. Und das, finde ich, ist der Kernpunkt eines Reitkünstlers: das Studium. Dieser Lernprozess ist nie abgeschlossen, wie auch die Ausbildung eines Pferdes nie abgeschlossen sein wird. Das Ziel ist immer mit noch feineren und unsichtbareren Hilfen auszukommen.

Ein ganz und gar schöner Weg , wenn ihr mich fragt. Was versteht ihr unter Reitkunst?
Im Beitragsbild ist übrigens William Cavendish zu sehen, Herzog von Newcastle (1592-1676), dessen Kupferstich man hier kaufen kann.

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